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Annabell
04.12.2003, 13:35
Hallo Ihr alle. Mein Freund ist Spieler und ich hab schon so manches Mal hier vorbeigeschaut. Heute nun muß ich auch ein paar Zeilen schreiben, weil ich einfach nicht mehr weiter weiß.
Ich bin mit meinem Freund seit 8 Monaten zusammen. Die ersten drei Monate spielte er täglich. Nach einer langen Aussprache im Sommer haben wir beschlossen, gemeinsam gegen die Sucht und für uns zu kämpfen.
Fünf Monate ging es bergauf. Mein Freund spielte nicht mehr, wir redeten täglich über das Spielen, und wir fanden richtig zueinander. Gestern dann ist es passiert. Er war wieder spielen. Er hatte entgegen unserer Vereinbarung Geld einstecken und hat alles ohne ersichtlichen Grund (kein Streß, keine Langeweile, kein Streit oder sonstiges) "weggebracht"...
Er hat es mir sofort gebeichtet, worüber ich auch sehr froh bin. Er ist über sich und den Rückfall selbst erschrocken und ich weiß nicht weiter.
Wir wollen im Januar zusammenziehen, haben gerade eine Küche auf Kredit gekauft... Ich habe Angst, daß unsere ganzen Pläne kaputt gehen und sein Rückfall ihn wieder mitten ins Spielen zieht.
Habt Ihr vielleicht ein paar Tipps, wie ich Ihm helfen und ihn unterstützen kann?

Viele Grüße Anni

Rudi
05.12.2003, 22:22
Hallo Annabell!
Ich finde es sehr stark von deinen Feund, wenn er ohne professionelle Hilfe 5 Monate nicht gespielt hat. Aus deinen Brief ist von Therapie oder Selbsthilfegruppe ja nicht die Rede. Wie du mitteilst ,hat er auch von seinen Rückfall erzählt. Das ist ein Zeichen, das er auf einen sehr guten Weg ist.Rückfälle zu beichten ist für Suchtkranke nicht einfach. Trotz dieses rückfalles-ich sehe euch auf einen guten Weg.
Wenn er noch nicht in einer SHG ist, würde ich das sehr vorschlagen. Vielleicht eine Gruppe, wo auch du mit hingehen kannst.Ich bin mir sicher, das gibt euch neue Impulse.
Alles Gute und eine spielfreie Zeit
Rudi

Micha
08.12.2003, 11:12
Hallo Anni,

den Worten von Rudi kann man sich wie immer nur anschließen.
Ich bin selber Spieler und seit guten zwei Jahren spielfrei.
Spieler weisen sonderbare Charakteristiken auf. Wie Du schreibst, ist Dein Freund seit 5 Monaten spielfrei gewesen(hierfür meine Anerkennung) und Ihr habt Euch in Gesprächen auch mit der Spielsucht auseinander gesetzt. Aber, wie sich tragischerweise gezeigt hat, reichte das nicht aus, um Deinen Freund vom Spielen auf Dauer abzuhalten.
Aus eigener Erfahrung als Spieler kann ich sagen, dass ein Spieler ja nicht nur das Medium des Spielens an Daddelautomaten usw. praktiziert sonder auch mit der Gefühlswelt seiner Mitmenschen spielerisch umgeht. Als Spieler erlebt man an den Automaten ein intensives Durchleben verschiedener Gefühlszustände(Euphorie, Zorn, Enttäuschung usw.) Dieser künstlich stimulierte Wechsel der Gefühle, in schneller Folge, ist unter anderem ein Zustand, den der Spieler anstrebt.
Nun versetze ich mich in die Lage Deines Freundes:
Ich versuche aufrichtig mit dem Spielen aufzuhören, meine Sucht wird mit meiner Partnerin thematisiert, ich treffe Vereinbarungen, dass ich nur nach Rücksprache Geld mitnehme, wir wollen demnächst zusammenziehen und meine Freundin beginnt(nicht böse gemeint) mit dem Nestbau, indem sie eine Einbauküche kauft.
Für einen "normalen" Menschen eine erstrebnswerte, normale Situation aber für einen Spieler, der erst sehr kurz von der hohen Emotionalität des Spielens(häufige Gefühlswechsel)davon ist, bedeuten alle oben aufgezählten Faktoren, dass sich die Schlinge um den Hals des Spielers immer enger zuzieht. Das für den Spieler vermeintlich offen gehaltene Hintertürchen zurück zum Spielen, wir durch die Vereibarungen mit meiner Partnerin und die konkreten Veränderungen verbaut.
Weiterhin beanspruchen Spieler die Aufmerksamkeit Ihrer Umwelt für sich. Meist unbewusst. Mal wieder kein Geld,ach wie schlecht es einem doch geht. Meist helfen Mutter, Vater oder Bekannte über die Misere hinweg. Die beschäftigen sich dann natürlich bewusst und unbewusst mit den Problemen des Spielers.
Auf Euch projeziert: Am Anfang ist die volle Aufmerksamkeit des Partners auf den Spieler und dessen Spielfreiheit gerichtet. Im Laufe der (spielfreien) Zeit stellt sich beim Angehörigen aber das Gefühl ein, es sei alles auf den richtigen Weg gelenkt und es laufe ja ganz gut. Aus der Emotionalität des Spielers sieht das aber manchmal ganz anders aus(Leiden unter dem Nichtspielen/Sehnsucht nach den "Gefühlen" des Spielen und Ausbruch aus den erwachsenden Grenzen), wobei der Spieler sich nicht genug Aufmerksamkeit durch seinen Partner entgegen gebracht sieht, was sich auch in einen Rückfall ausdrücken kann, dann hat er die Aufmerksamkeit wieder und kann seinen Rückfall auch offen und schnell kundtun. Die Aufmersamkeit seiner Partnerin(manchmal gepaart mit Dankbarkeit über das schnelle Erzählen) hat er ja.

Liebe Anni, dass sind wie gesagt nur Ansätze, von denen ich aus meinen vergangenen zwei Jahren berichten kann.Vieles von dem ich geschrieben habe, ist dem Spieler so auf anhieb nicht bewusst. Sprich, was Rudi sagt, ist genau der richtige Weg. In einer SHG könnt Ihr Eure Ängste, Befürchtungen und Erkenntnisse herausarbeiten, die ein gegenseitiges Verstehen und eine auf Dauer angelegt Spielfreiheit nach sich ziehen können. Sofern sich ein Spieler komplet öffnet, hat er auch nichts mehr zu verbergen, vielleicht kann Euch beiden begleitend eine ambulante Therapie helfen. Für uns war die Therapie ein wesentlicher Fortschritt beim gegenseitigen Kennenlernen.

Es tut mit Leid, dass ich so ausschweifend war aber es hat mich einfach mitgerissen.

Alles Gute,

Micha

Annabell
08.12.2003, 12:41
Lieber Rudi und lieber Micha,

danke für Eure aufmunternden und ausschweifenden Worte!!!
Ihr habt mir sehr geholfen.
Mein Freund hat schon (in der Zeit, in der wir uns nicht kannten) eine dreimonatige stationäre Therapie hinter sich. Leider ist er sofort danach wieder in exzessives Spielen verfallen. Die jetzigen fünf Monate spielfrei überstand er mit seinem eigenen eiserenen Willen, meiner Hilfe und er besuchte zu anfang auch eine Selbsthilfegruppe und einen Psychologen. In unserer Stadt gibt es leider nur diese eine SHG, in der er sich aber absolut nicht wohl gefühlt hat. Einer nach dem anderen ging wieder spielen und er hatte Angst, mit in diesen Strudel gerissen zu werden. Also ging er nicht mehr hin. Auch die Gespräche mit seinem Psychologen wurden mit zunehmendem Abstand zu seiner "aktiven Zeit" immer seltener.
Ich denke, er und ich wurden mit dem wachsenden Gefühl der vermeintlichen "Sicherheit" unvorsichtiger und nachsichtiger.
Auch was Du zu dem Thema Aufmerksamkeit sagstest, Micha, hat mich sehr zum Nachdenken gebracht. Ja, mein Freund spielt und spielte mit den Gefühlen seiner Mitmenschen, so auch mit meinen. Er erklärte mir dieses Verhalten genau wie Du. Daß er den "Kick" des Auf-auf-und-Ab vor dem Spielautomaten, den er nun nicht mehr hat, wohl bei diesen Spielchen mit seinen Mitmenschen sucht.
Es ist gut zu wissen, daß Du auch eine solche Erfahrung gemacht hast. Das gibt mir Kraft für unseren gemeinsamen Weg durch ein spielfreies Leben. Wenn Du es geschafft hast, können wir es auch schaffen.
Deine Worte zum "Nestbau" muß ich jedoch ein wenig revidieren, denn mein Freund war es, der unbedingt mit mir zusammenziehen wollte. Ich denke, er sucht schon lange den Halt einer festen Beziehung. Wir beiden haben auch offen über diese Problematik gesprochen und denken, daß uns beiden ein gemeinsames zu Hause Kraft zu Geborgenheit geben kann und wir uns so eine Basis für ein gemeinsames Leben ohne Spielen schaffen können.

Mein Freund war seit dem Rückfall vor fünf Tagen nicht nochmal spielen und ich hoffe, daß er weiter durchhält. Denn jeder Tag ohne Spielen ist für uns ein glücklicher Tag.

Tausend Dank nochmal für Eure Worte.

Ich wünsche Euch eine ruhige und entspannte Vorweihnachtszeit!

Winterliche Grüße
Anni

Micha
08.12.2003, 14:54
Hallo Anni,

ich drücke Euch beide Daumen und hoffe, daß es für Euch gemeinsam bergauf geht.

Sofern möglich, wünsche ich Euch auch eine einigermassen entspannte und nicht von Enttäuschungen geprägte Vorweihnachtszeit.

Falls mal etwas ausserhalb des Forums ist; habe meine
E-mail-Adresse eingepflegt.

Alles Gute für Euch,

Micha