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JENS
14.01.2004, 00:34
Hallo zusammen!

Nachdem ich durch meine Freundin auf diese Seite aufmerksam gemacht wurde, lässt mich der Gedanke nicht mehr los, auch selbst von mir zu schreiben.
Ich bin super überrascht, dass diese Seite so einen regen Zuspruch hat!
Seit 1992 bin ich Spieler. anfangs gings nur um Groschen, aber bald schon bis zum letzten Pfennig.
Warum das so gekommen ist, wer daran Schuld hat, oder nicht, ist mir heute egal.
Sicher ist nur Eines: ich muss damit leben lernen.
Als ich bemerkte, dass es nicht nur Unbeherrschtheit und Übermut, sondern einfach krank ist, was man da Tag für Tag treibt, war ich absolut fertig. Es dauerte bis 1996. Auf Drängen meiner damaligen Freundin, ging ich zur Spielergruppe. Die Einsicht und die Identifikation mit der Sucht fiel und fällt mir auch heute noch schwer.
Wer aber nicht wirklich mit dem Rücken zur Wand steht, begreift nicht...
Es ging weiter mit Zocken, und damit eben auch mit Schulden, Lügen..... Irgendwann 1999 hatte es dann auf die traurige Summe von etwa 20.000 DM Schulden gebracht.
Die Schlinge um meinen Hals zog sich zu. Ich begann Alle und Jeden anzupumpen. Damit lichtete sich auch der Kreis meiner Kumpel und Freunde, wobei diese noch nie zahlreich waren. Irgendwo im Selbstmitleid versunken in einer "schlechten Welt" fing ich an Ende 1999 zu trinken. Oft eine ganze Flasche Grappe am Tag, meist bis zum Blackout. Ich begriff langsam, aber eben wirklich nur langsam, den Ernst meiner Lage.
Sehr oft trug ich mich mit Selbstmordgedanken. Ich hielt dieses Leben nicht mehr für lebenswert. Es war wohl, damals und aus meiner Sicht, eher eine Qual. Ich konnte nicht mehr!!!!!
Ich hatte aber nicht den Hauch einer Idee, wie ich diesem Sumpf entkommen konnte. Ich beschloss, halt Zocker like, alles auf eine Karte zu setzen. Meine Überlegungen gingen in Richtung "Spielverhinderung durch Dritte" Ich ging zu meiner Suchtberaterin in Dresden, die ich die ganze Zeit über sporadisch aufsuchte, und wollte Hilfe. Irgendwie! Hauptsache weg von den Kisten, denn die waren hauptsächliches Ziel meiner Begierde.
Somit hatte ich Glück, und bekam, mehr inoffiziell, einen Platz in einer Entwöhnungsklinik für Alkoholiker bei Dresden.
Ich fand Ruhe. Diesen, für "normale" Leute aberwitzigen Schritt, hätte ich viel eher tun sollen. Ich empfand mich wieder als Mensch. Ich fand zu meinen Emotionen. Dort gab es Situationen in denen ich losgeheult habe, als wäre ich ein kleines Kind. Ich war einfach nur ergriffen von der ganz normalen Menschlichkeit.
Der Aufenthalt gab mir Kraft. Ich beschloss eine Langzeittherapie zu machen. 2000 war es dann soweit.
12 von 16 Wochen habe ich durchgehalten. Danach bin ich mal wieder weggerannt, weil ich immer noch nicht gelernt hatte, mit Problemen umzugehen.
7 Wochen war ich dananch spielfrei. Mehr aus Angst, weil ich diese Therapie als non-plus-ultra sah. Was kommt danach? Wer kann mir dann überhaupt noch nach einem Rückfall helfen?

Cut.

Ich bin grad eben wieder gedanklich in dieser Zeit gelandet....Es geht mir zwar gut, aber es wühlt mich dermaßen auf.

2004: Ich bin derzeit spielfrei.
Es gab Ende letzten Jahres zwei Rückfälle, bei denen ich binnen kürzester Zeit wieder voll drin war.
Morgen werde ich mich bei der Spielergruppe melden, um hoffentlich wieder aufgenommen zu werden. Ich hab gemerkt, dass es mir allein nicht gelingt, die Zockerei in den Griff zu kriegen. In meiner letzten spielfreien Zeit war ich, wohl auch aus Übermut, der Meinung diese Gruppe nicht mehr zu brauchen. Ich war mir sicher. zu sicher!

Sicherlich gibt es viele Erlebnisse, die ich nicht erwähnt habe, aber beim Nachdenken über meine Vergangenheit, schlägt mein Hirn Purzelbäume.
Ich bin irgendwie froh, hier von Leuten zu lesen, die genau das Selbe erleben und durchmachen, wie ich. Von Angehörigen und Freunden, die hier ihre Sicht der Dinge schreiben.
Denn noch viel wichtiger als für uns Zocker, finde ich diese Seite und der damit mögliche Gedankenaustausch, für die, die voll mit drin hängen, weil sich familiär oder rein emotional mit dem Betroffenen verbunden sind!
Ich denke auch, oder sogar vor allem diese Leute, stehen oft allein da.

Ich möchte hier noch einem mir ganz wichtigen Menschen danken. Es ist meine Freundin. Sie gab mir die Kraft dagagen zu kämpfen, und aufzustehen wenn ich gefallen bin. Ich liebe dich, annabell!

Danke!

Rolf
14.01.2004, 01:13
Du wirst es schaffen. Deine Liebe gibt dir Kraft, es ist schwer, ich weiß es. Unsere Krankheit schlummert und Wachsamkeit ist oberstes Gebot. Bewußt leben, aufpassen, was bewegt sich im Denken, bei den Gefühlen. Es ist ein Weg der kleinen Schritte, immer ein bisschen, langsam, Geduld. Ein Rückfall ist nicht das Ende, sondern ein neuer Anfang. Wieder etwas gelernt, wo habe ich nicht aufgepasst. Jeder Tag ohne Spielen, Alkohol ist ein Geschenk, mit allem was dazu gehört. Freude, Leid, Kummer, Sorgen, Hoffnung, Resignation. Aber was wäre das Leben ohne all diese Gefühle, wäre das Leben? Wie kann ich mich richtig freuen, wenn ich nicht mal richtig traurig sein kann, weinen. Wie kann ich Hoffnung haben, wenn ich nicht auch mal resigniere. Leben, ist doch schön, oder?

Liebe Grüße, Rolf

andreas
14.01.2004, 11:16
Hallo Jens,
Deinen Beitrag konnte ich aufmerksam lesen und er macht auch mir Hoffnung.
Gut, ich bin jetzt 14 Jahre in einer Spielerselbsthilfegruppe, Spiele seit 13 Jahren (oder besser - Heute, einen Tag zur Zeit -) nicht und brauchte trotdem oder gerade jetzt letzten Sommer eine Therapie zur Suchtprävention, Abbau meiner Zwänge, Sozialphobie und Depressionen.
14 Jahre - Gruppen und dann Therapie, mein Weg.
Ich glaube, daß ich in den 14 Jahren erst einmal all das Überhebliche, Machthaberische Zockerdenken und Handeln ablegen mußte um wirklich demütig an meine eigenen Gefühle heranzukommen.
11 Wochen wähte meine Therapie - und sie wirkt wunderbar - ich komme aus dem Staunen nicht mehr hinaus..
Und ich besuche weiterhin die Gruppen - und lerne weiterhin:
Sponsoring, Lastenausgleichsmeeting, Meditationsformen, Körperwahrnehmung, Kreativität, z.B. im Musischen Bereich.
Endlich - kann ich sagen - finde ich eine Form, meine Spielfreiheit effizient zu Leben und zu genießen, trotz aller wirtschaftlichen Bedrängnisse (Arbeitslosigkeit) und nach dem Schmerz meiner Ehescheidung. Den konnte ich genau an Heilig Abend spüren ;aber jetzt war ich endlich bereit TRAUER zuzulassen und mich so zu Spüren wie ich wirklich bin: Verrückt und liebenswert:
Schöne 24 Stunden
Andreas

jens
16.01.2004, 22:10
Hallo zusammen!

Habe mir grad etwas Zeit genommen, um im Forum zu schauen...
Ich freue mich sehr, dass es auch auf meinen Beitrag ein Echo gibt!
Ja, die Liebe verleiht Kraft, aber auch diese Kraft ist nicht unerschöpflich. Grad heute ist mir wieder klar geworden, wie zart doch das Pflänzchen Liebe ist.Unser Leben bildet dabei das Klima. In bestimmten Klimazonen wächst aber nun mal nix mehr.
Vielleicht noch ein Nachtrag zum letzten Bericht:
Der Besuch der Gruppe war gut, ich wurde, zwar unter "Auflagen" wieder aufgenommen. Ich war sehr erleichtert. Vielleicht macht mich nicht jeder Mittwochabend gleich zu einem besseren Menschen, aber er hält mich wach. Nicht die Warnlichter aus den Augen verlieren...!

Momentan gibt es bei uns eine Menge Stress. Wir sind gerade dabei, eine gemeinsame Wohnung zu beziehen.
Ich stelle dabei leider erneut fest, dass Konfliktbewältigung nicht zu meinen Stärken gehört. Ich möchte da am liebsten weglaufen, so wie es immer tat. Aber genau das ist der Punkt, den ich so langsam in den Griff bekomme. Nur leider geht es mir nicht wirklich gut damit.
Ich mache dann noch eher dicht,(weil mir die "Wegrenn-Alternative" nicht mehr zur Verfügung steht) und es entsteht meist eine sehr verfahrene Situation, die sich meist sehr schnell in einen handfesten Streit wandelt.
Aber will ich das denn? Nein!
Ich liebe meine Freundin, und will, dass sie glücklich ist!
Warum dann immer diese Auseinandersetzungen????? Ich sehe mich selbst als einen sehr impulsgesteuerten, sensiblen Menschen, der sehr schnell auf Hundertachtzig ist. Zwar bemühe ich mich, dieses "AUSRASTEN" zu kontrollieren, aber es ist schwer. Wenn es dann doch einmal durchkommt, wird es eher noch schlimmer. Dann schreie ich auch aus voller Kehle meine Freundin an. Will ich das denn!? NEIN!
Ich verliere in so einer Situation absolut die Kontrolle über mich und mein Handeln... Hinterher tut mir Alles total leid, und ich habe ein schlechtes Gewissen. Doch sowas macht man nicht mit dem Menschen, den man liebt.

Wenn es jemandem ähnlich geht, wäre es schön wenn ich dazu ein paar Zeilen lesen könnte!

Bis dahin...

Haltet die Ohren steif!

Gruss jens.

Nicole
16.01.2004, 23:49
Du hast das richtige gesagt. Liebe ist sehr zart.
Und Liebe, Vertrauen ist eins der wichtigsten Dinge die wir haben. Was wäre das Leben ohne Liebe, ohne Vertrauen zu fassen?

Mir geht es - aber als Angehörige - manchmal ähnlich wie dir. Ich raste zwar nicht aus, aber ich werde sehr unruhig. Ich glaube einfach, dass es z.Zt. einfach für dich zu viel Dinge auf einmal sind.

Versuche doch deiner Freundin zu erklären, dass du "früher" gerade in der jetzigen Situation weggelaufen wärst u. bitte sie, dir dabei zu helfen, eine stressige Situation - auch für sie - besser zu überstehen/zu verstehen.

Wenn du merkst, langsam fängst du an zu köcheln, dann sag ihr doch einfach: Du mir wird es gerade zuviel, können wir uns kurz zusammensetzen u. darüber sprechen. Vielleicht finden wir gemeinsam eine Lösung.

Und durch anschreien erreicht niemand etwas.

Ich lerne gerade durch meinen Partner (welcher in Therapie ist), dass wir uns kann speziell nur für uns Zeit nehmen. Das ist eins der wichtigsten Faktoren, die ich langsam anfange zu lernen.

Versuchs einfach mal. Wenn du merkst, oh je, jetzt flipp ich gleich aus, dann sprech deine Freundin an u. erkläre ihr, wie du dich gerade fühlst.

Gruß
Nicole

andreas
19.01.2004, 13:28
Hallo Jens,
Dein Beitrag - Zusammenziehen mit der Freundin macht mich doch sehr betroffen.
Nun, Aggessionen in der Partnerschaft kannte ich auch;
es ging bei mir darum, niemanden in mein Leben hereinlassen zu können, gerade, weil ich auch Schwierigkeiten habe mich mit meinem Körper zurechtzufinden; ich bin auch Esssüchtig (Fettsucht) und habe jede Menge "Nähe un Distanzprobleme"
Nur Auseinandersetzungen in unserer Partnerschaft habe ich darin beendet, daß ich mich vor den Badezimmerspiegel stellte und mir selber in das Gesicht schlug, gerade so, wie früher, als ich Geld zum Spielen klaute.
Ob ich mit die Häde am Panzerglas der Spielautomaten blutig schlage oder ich brülle meine Partnerin an, was verändert sich da.
Das Scheißgefühl (Schuld) mirselber gegenüber bleibt.
Nun, meine Ehe ist gottlob am 17.12.2003 - ohne Diskepanzen geschieden; Sie lebt in einem Kleinen Ort, 200 Km Distanz und jetzt kommt auch Trauer in mir Hoch.
Langsam begreife ich, wie meine Therapie im Sommer 2003 mir geholfen hat, gerade mich diesem Auto - Aggressionsgefülen zu Stellen und mir selber ein guter Freund zu werden.
Neulich rief mich meine Verlassene an und klgte über Schmerzen, Kälte, Behördenwege, fiese Nachbarn u.s.w.
Ich konnte am Telefon gut zuhören, aber auch nur durch Zuhören helfen. Nicht mehr zur Hand gehen, alles für sie tun, egal wie mir es geht:
Es ist immer leichter, sich um die oder den anderen zu kümmern, als um sich selber, (meine Co-Abhängigkeit).
Ich bin einfach traurig!
Das bringt Bewegung in meine Gefühle: kein Groll, Hass oder Zorn - raus damit, ich spüre kein Selbstmitleid, aber ich kann nur mir ein Leben gestalten, mit meiner Freude in meiner Welt, (Ohne Glücksspiel, Depressionen) aber meiner EX-Frau in Liebe loslassen zu können.
Danke für alle Gruppen in denen Spieler sich austauschen können, gerade jetzt brauche ich Eure Beiträge.
Andreas