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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Ist es der richtige Weg?



Judith
06.09.2004, 13:36
Die letzte Woche war die Hölle! Nachdem mein Freund sich vorher zwei oder drei mal noch kurz vor dem Absturz wieder gefangen hatte (nicht zuletzt durch meinen Einsatz), ging es letzte Woche endgültig bergab.

Er war überhaupt nicht mehr er selbst. Drei Tage ging er einfach nicht zur Arbeit und meldete sich bei niemandem. Als er dann endlich an sein Handy ging, meinte er immer nur, sein Kopf sei leer und er wisse nicht, was er denken solle. Geschlafen hat er im Auto, gegessen so gut wie nix. Nur Zigaretten und Mixery und laute Musik... Allein dem Einsatz seiner Mutter hat er es zu verdanken, dass die Firma ihm nicht den Lehrvertrag gekündigt hat. Die Fehltage bekam er - da er wieder zur Arbeit ging - nur vom Lohn abgezogen. Ich habe sehr oft versucht ihn zu erreichen, er lies jedoch entweder einfach klingeln oder drückte mich weg. Auch zu mir (und seiner Tochter) gekommen, ist er natürlich nicht.

Er war also für mich unerreichbar. Abgehoben und wie weggetreten. Er ist einfach völlig in seinem "Sucht-Ich" aufgegangen und hat sein altes Ich und alles was damit zu tun hat (v.a. Gefühle), einfach weggesperrt.

Gestern mittag tauchte er plötzlich auf, um mit unserer Tochter etwas zu unternehmen. Mit von der Partie war außerdem eine Mitarbeiterin der Spielhalle, mit der er sich sehr gut versteht, und deren 6-jähriger Sohn. Mit mir wollte er erst abends reden...

Als er dann um viertel vor 6 wieder kam, redete er irgendetwas von einem "wichtigen Termin", den er um 6 Uhr hätte, und verschwand sofort wieder. Ich wollte dieses Gespräch mit ihm jedoch nicht noch länger vor mir herschieben, da es mich sehr belastete. Also habe ich mich zu einem Freund fahren lassen und meinen Freund gebeten, mich dort abzuholen (damit er "gezwungen" war, überhaupt zu kommen). Er war in der Zwischenzeit natürlich am Spielen...

Das "Gespräch" mit ihm verlief schrecklich. Er war eiskalt, schaute mich kaum an und es ging zunächst wieder darum, dass er mit mir Schluss machen wollte. Ich habe ihm sehr viel über meine Gefühle gesagt und konnte meine Tränen nicht zurückhalten. Verständlicherweise, wenn man bedenkt, dass mein Freund gerade 3 1/2 Jahre Beziehung und das Glück als Familie einfach wegwerfen wollte.

Es tat weh - was mich jedoch davon abhielt, ihn einfach ziehen zu lassen (so wie er das angeblich wollte), waren gaaanz kurze Augenblicke, in denen er der Mann war, den ich liebe. Wenigstens für einen ganz kurzen Moment schimmerte sein altes Ich durch und er nahm mich in die Arme und sagte "Ich liebe dich doch auch". Und ich weiß, dass er in diesem Augenblick nicht gelogen hat! Das also hielt mich davon ab, seine Entscheidung einfach zu akzeptieren. Ich weiß eben, dass er eigentlich mit mir und seiner Tochter zusammen leben möchte. Nur liegt es nicht (mehr) in meiner Macht, ihn von irgendetwas zu überzeugen. Ich redete gegen eine Wand, denn er sagte selbst, dass das doch nicht normal sein kann, dass es ihm nichts ausmacht, wenn ich neben ihm sitze und weine.

"Realitätsfern" trifft seinen Zustand wohl am ehesten. Ist diese Stufe in der Spielsucht normal? Es kommt mir vor, wie der letzte Schritt vor dem endgültigen Absturz - und der darauffolgenden Erkenntnis. Wie schon oft gehört, ist er wohl immer noch nicht weit genug unten angelangt, um zu erkennen, dass er mit dem Spielen wirklich aufhören muss. Er ist noch nicht bereit das Spielen aufzugeben. Laut seiner Aussage, überlegt er schon wieder, ob er überhaupt zur Arbeit gehen solle, denn wenn nicht, könnte er ausschlafen, bisschen schnell mit dem Auto durch die Gegend fahren, Bier trinken und laute Musik hören. Im Moment sei das alles, was er brauche (das Spielen hat er zwar nicht erwähnt, aber dass er das braucht, muss ich wohl nicht extra erwähnen). Er hat letzte Woche eine Lebensversicherung oder so was abgeschlossen, wofür "er" bei seinem Tode tausende von Euro bekommen würde. Selbst jetzt, kurz nach dem Abschließen. Es passt in sein Verhalten - er ist sich selbst nichts wert. Allerdings glaube ich, dass er für Selbstmord zu viel Angst hätte. Zumindest hoffe ich das...

Also, um das ganze wenigstens etwas abzukürzen (entschuldigt, dass es so lang geworden ist): Vorwürfe, die Wahrheit, Weinen und Flehen, und was es sonst noch so an Verhaltensmöglichkeiten gibt, halfen nicht. Er wollte nur noch weg, redete wieder etwas von einem wichtigen Termin (im Spielcasino natürlich...) und war völlig weggetreten (fast wie auf Drogen). Ich sagte ihm, dass ich nicht ohne ihn aussziehen kann, da wir seinen Lohn eingeplant haben und ich eine so große Wohnung alleine gar nicht brauche usw. Daraufhin sagte er mir zu, dass ich das Geld bis auf 100 Euro von seinem Konto holen könne, mehr bräuchte er nicht zum Leben. Auch für nächste Woche, wo er in Kaiserslautern übernachten muss, wollte er kein Geld mitnehmen und kann sich demnach kein Essen kaufen (wobei das Geld sowieso im Casino gelandet wäre). Ich denke, seine Arbeit wird er nicht mehr lange behalten, seine Beziehung hat er schon mehr oder weniger beendet und seine Mutter hat ihn fast rausgeworfen. Es dauert nicht mehr lange, bis er nicht mehr tiefer fallen kann... Wird er dann endlich die Erkenntnis haben, dass er gegen die Sucht kämpfen muss?! Oder gibt er sich dann ganz auf? Ich glaube eigentlich immer noch an ihn, bin mir fast sicher, dass er es schafft. Aber darauf verlassen darf ich mich natürlich nicht...

Ich habe nun also gestern eine Entscheidung getroffen und hoffe so sehr, dass dies der richtieg Weg für ihn und mich und unsere Tochter ist. Ich sagte ihm, wenn er gehen will, dann soll er das tun. Aber ich weiß, dass er mich liebt und eigentlich ein Leben mit mir und unserer Tochter will. Dass fühle ich einfach. Und ich glaube auch daran, dass er es schafft. Wenn er also eines Tages so weit ist, dass er seine Gefühle wieder zulassen kann und dann merkt, dass er mich liebt, dann soll er zu mir zurückkommen. Ich werde auf ihn warten. Er muss nicht perfekt sein, er muss nur den Willen haben, gegen seine Schwächen, die ihn zerstören, anzukämpfen. Diese Entscheidung muss er alleine treffen, aber wenn er sie getroffen hat, möchte ich versuchen, den schweren Weg aus der Sucht mit ihm zu gehen. Bis dahin muss er aber scheinbar noch tiefer fallen. Ich hoffe, dass ich ihm dann aufhelfen kann bzw. dass er dann auch von sich aus sagt, dass er wieder aufstehen und leben will.

Wärend ich ihm das alles sagte, liefen ihm die Tränen über das Gesicht. Es tat zwar unendlich weh und ich wollte ihn eigentlich nie wieder loslassen, aber ich hatte schon alles Wichtige drei mal gesagt... Er hat mir versprochen, dass er zurückkommt, wenn er wieder weiß, dass er mich liebt. Und da ich meinen Glauben immer noch nicht ganz verloren habe, glaube ich daran, dass er dieses Versprechen nicht brechen wird. Seine Tränen sprechen nicht dafür, dass ich ihm egal bin. Seine Gefühle sind noch da und irgendwann wird er es nicht mehr schaffen, sie wegzusperren bzw. alles mit Spielen zu betäuben.

Ich versuche nun ganz langsam ein neues Leben anzufangen. Bald werde ich ausziehen. Zwar zunächst als alleinerziehende Mutter, aber der Glaube an meinen Freund gibt mir dennoch Hoffung. Vielleicht ist es umsonst, dass ich warte, aber das Warten auf seine Entscheidung (die sicherlich nicht in den nächsten Tagen fallen wird) fällt mir leichter, als das tägliche Warten. So weiß ich, dass er nur kommt, wenn er bereit ist, den steinigen Weg nach oben zu gehen. Da er mir das Geld zugesagt hat, muss ich auch die Kosten der Miete usw. nicht alleine tragen und hoffe nun also nur noch, dass ich und er es schaffen unser Leben zu leben. Vielleicht wird aus diesen beiden Leben dann irgendwann wieder ein gemeinsames Leben...

Entschuldigt noch einmal, dass es so lange geworden ist. Ich wollte euch eigentlich nur meine Entscheidung mitteilen, aber es ging mir nach dem ständigen Hin und Her der letzten Wochen dann doch noch so vieles im Kopf rum, dass ich irgendwie mal loswerden musste - daher die "Überlänge"...

Viele liebe Grüße
Judith

Rudi
06.09.2004, 14:16
Hallo Judith !
Der richtige Weg...wer mag schon zu sagen, was richtig oder verkehrt ist ?
Was wir zur Rate ziehen können sind unsere Erfahrungswerte und unsere Vernunft.
Aber wenn ich deinen ersten Eintrag mit deinen heutigen vergleiche, tun sich doch mehr als berechtigte Zweifel seiner Loyalität dir und Euren Kind gegenüber auf.
Kein Wort mehr von Therapie oder Hilfe suchen.
Ein hohes Mass an Verantwortungslosugkeit und Ignoranz seinen Pflichten und seinen ihm nahestehenden Menschen ist jedoch deutlich spürbar.
Wenn du dir das Recht nimmst, weiter unter seiner Sucht zu leiden, dann mache es, wenn du es aushalten kannst. Ich denke, das wird von Tag zu Tag schwerer. Aber er hat ja noch ein Hintertürchen auf. Wenn er alles kaputt hat, dann bist du ja da und da kann er dann seine Beine hochlegen - und sich ach so gut von seiner schlimmen Spielsucht erholen, so lange, bis er wieder Oberwasser hat und im alten Stil weitermacht.
Nur das Recht für Euer Kind mitzuentscheiden, ob es auch unter seinen Vater leiden will, spreche ich dir ab.
Das Kind hat deine volle Sorgfaltspflicht auch und gerade in diesen Punkt zu erhalten.
Ich will dir nur sagen, besser ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende.
Wahre Liebe zeigst du einen Spieler nur durch eine konsequente Haltung. Aber nicht durchs öffnen einer Hintertür.Die wird er für sich offen lassen - und für was soll er sich auch anstrengen ? Wenn alles verzockt ist, wird er für eine gewisse Zeit bei dir sein - ein Dach über den Kopf haben - den Kühlschrank leerfuttern - Zigaretten schnurren - und irgendwann in dein Portemanie greifen um wieder zocken zu gehen.
Genau das ist der Ablauf - der nicht zu verhindern ist, wenn du keine Konsequenzen trägst , oder er nicht wirklich entscheidendes für sich tut.
Ich schreibe nicht, um dich zu ärgern.
Was ich dir schrieb sind unzählbar viele Erfahrungen, und Wahrheiten, die Partner von Spielern erleben, wenn sie nicht konsequent waren und der Spieler nichts für sich tat.
Wie soll der jemals seine Familie ernähren ?
Nicht bereit die Lehre zu machen, wird er irgendwann als Arbeitsloser uns Sozialhilfeempfänger sein Dasein gestalten müssen. Das finde ich sehr Schade.
Prüfe für dich, ob du das für dich und deine Tochter willst.
Lieben Gruß
Rudi