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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Nicht gesucht und doch gefunden!



claus
28.06.2005, 11:02
Hallo Freunde,
der Berthold der einigen von euch noch als Speaker von den D-Treffen in Ebernburg bekannt ist, hat einen Artikel im "Fleckenbühler" veröffentlicht. Ich darf mit genehmigung von Berthold und den Fleckenbühlern den Vortrag an euch weiter geben! Viel Spass beim Lesen

das kpl. Heft 2/2005 von der Suchthilfe Fleckenbühl, könnt ihr unter diesem Link downloaden
http://www.suchthilfe.org/index.php

Liebe Grüsse und gute 24 Stunden Claus M.
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Aus Fleckenbühler Nachrichten 2.QUARTAL 2005 Seite 7

Nicht gesucht und doch gefunden!
Nachdenkliches von * Berthold Kilian

Sie haben sich nicht gesucht.
Sie sind sich begegnet.
Einfach so und ohne Absicht.
Egal wo auf der Welt.
Durch Zufälle, wie man meint.
Aber es gibt geheime Zeichen.
Eine besondere Art Sprache.
Einer Art zu schauen, sich zu bewegen.
Und dann kann ein Vertrag entstehen.
Es wächst blitzschnell eine Bindung.
Da sagt einer, ich spüre, dass du mich brauchst.
Der andere sagt wortlos, ja, ich brauche dich.
Und alles geschieht in guter Absicht.
Eine perfekte Vereinbarung, die nutzen soll.
Aber offiziell ist nichts ausgesprochen.
Keiner weiß, was gegeben und was genommen werden soll.
Aber es tut gut.
Es ist wie mit dem „Ich liebe dich!".
Da weiß auch keiner, was das bedeutet.
Keiner kennt die Erwartungen und Bedingungen.
Es ist ein Gefühl, und Konsequenzen sind gleichgültig.
Es wird auch nicht darüber gesprochen.
Worte würden vielleicht Klarheit bringen.
Sie würden auch stören und die Sehnsucht hindern.
Eigentlich würde ich mich selber dringend brauchen.
Aber dafür habe ich jetzt keine Zeit.
Da ist einer, der mich braucht, das ist wichtig.
Wichtiger als ich mit meinen Bedürfnissen.
Endlich habe ich den Sinn gefunden, der über mich hinausgeht.
Helfen will den anderen stark machen.
Es sollen Fähigkeiten entwickelt werden, die Hilfe nicht mehr nötig machen.
Möglichkeiten der Selbsthilfe geben Kraft und schaffen neuen Selbstwert.
Der Helfer will sich selbst überflüssig machen.
Ganz anders der, der sich gebraucht weiß.
Der sich vielleicht für unersetzlich hält.
Und die, die gerne glauben, dass ihre Lösung die richtige Lösung für den anderen ist.
Da wird gerne Verantwortung übernommen, obwohl keiner sie darum gebeten hat.
Manche nehmen sich selbst in die Pflicht, dabei hat keiner sie verpflichtet.
Hier soll das Gebrauchtwerden bleiben.
Wenn es entfällt, dann kommt der Entzug.
Da trifft sich Schwach und Stark.
Der Schwache ist in der Regel nicht so schwach, wie er glaubt oder wie der scheinbar Starke es ihm vermittelt.
Und Schwachsein ist manchmal ein süßes Gift.
Da kann man Verantwortung abgeben.
Genau darauf hat der Starke gewartet.
Eine gewisse Verantwortungsscheu ist üblich.
Das ist nichts Schlimmes und nichts Unmoralisches.
Schwachsein ist auch manchmal eine Art Ausruhen.
Man kann sich vielleicht endlich mal zurücklehnen.
Mal loslassen, denn da ist einer, der hält.
In einen stressfreien Raum gehen und eine Zeit dort bleiben.
Kraft sammeln und neu starten.
Hier scheiden sich die Geister.
Der, der an meinem wieder Erstarken interessiert ist, der wird mich stützen.
Stützen in dem Maße, wie Stützung nötig ist.
Und er wird sich zurücknehmen, wenn ich wieder stärker geworden bin.
Er wird mir meine neu gewonnenen Stärken aufzeigen.
Er wird mir Mut machen und sich mit mir freuen.
Es geht auch um mein Menschenbild.
Traue ich anderen zu, dass sie sich positiv verändern können?
Auch wenn alles recht trostlos und hoffnungslos erscheint?
Ich benutze bewusst das Wort SCHEINT, weil ich zu oft erlebt habe, dass der derzeitige Zustand nur scheinbar, also es scheint so, es ist eigentlich nicht so, so schwierig und problematisch ist.
Jeder hat das Recht sein Leben zu ändern. Manche ändern es radikal und von Grund auf.
Und einige von JETZT auf gleich.
Andere brauchen Umwege, denn es gibt nicht DEN WEG.
Hier gilt es in unserem Inneren zu prüfen, welche Glaubenssätze in unserem Geist und in unseren Gefühlen kommen und gehen.
Es gibt immer noch viele Menschen, die sich nicht vorstellen können, dass z.B. Süchtige dauerhaft abstinent bleiben können.
Es sind auch die, die auf Rückfälle warten, die mit ihren sorgenvollen Gesichtern in die falsche Richtung denken.
Nicht selten mit einer gewissen „Berechtigung", denn sie haben oft jahrelang nur Rückfälle und Rückschläge erlebt.
Sie müssen umlernen.
Neues, Genesung förderndes Denken und Verhalten einüben.
Und sie müssen glauben lernen.
Ein altes Kirchenlied lehrt uns: „Oh, dass du's könntest glauben, du würdest Wunder sehen!"
Es ist so und es heißt auch, dass der Glaube Berge versetzen kann.
Bei den Süchtigen, bei den Angehörigen und auch bei den Helfern.
Ich habe nämlich die Freiheit, meine Sicht der Dinge zu verändern.
Ich habe die Wahl und ich kann mich entscheiden. Das wissen viele nicht.
Denn die Dinge sind es nicht, es ist immer meine Sicht der Dinge, also mein Glauben über die Dinge, über die Menschen, über alles, was es gibt, auch über mich.
Ich kann mich um eine neue Anschauung bemühen.
Ich kann die Dinge und Menschen neu sehen lernen.
Und ich kann Menschen mitnehmen nach NEU-SEHLAND.
Manche wollen natürlich nicht mitkommen, damit muss ich rechnen.
So gibt es schlimme Krankheiten: Die Dummheit, den Trotz, den Starrsinn u.ä.
Menschen haben in der Regel Angst davor, dass ihre Sicht von der Welt nicht mehr Bestand hat und zusammenbricht.
Oft ist dieser Zeitpunkt der Beginn für eine Neuorientierung.
Das gilt für ihre Ansichten, Meinungen, Auffassungen, ihre Grundsätze, ihre Moral, ihre Prinzipien,
eben ihr Weltbild, so auch ihr Bild von Menschen, auch von sich selbst.
Viele Menschen denken in einem Schubladensystem.
Danach bewerten sie, ordnen ein, diagnostizieren und fertig ist das Menschenbild.
Oft werden Prognosen geäußert, Vermutungen und Meinungen über Meinungen ausgesprochen.
Es gibt noch keine Tatsachen, keine Fakten, es werden Urteile vor dem Urteil benannt.
Ich frage gerne: „Woher weißt du das?", aber es kommen dann oft nur neue Vermutungen.
Die nächste Frage ist auch wichtig: „Woher kenne ich das, von wem, etwa von mir?"
Leider können wir uns bei der Begegnung mit anderen Menschen nicht LEER machen.
Wir stecken voller Vorannahmen und können sie nur durch neue Erfahrungen, neues Nachdenken verändern und/oder austauschen. Eine mühsame Aufgabe für uns alle.

* Berthold Kilian begleitet unsere Arbeit seit 1971. Er ist uns ein treuer Freund und Berater. Selbst betroffen, ist er seit über 40 Jahren nüchtern. Er ist Diplom-Pädagoge und war beim Diakonischen Werk Hessen und Nassau für den Bereich Sucht und soziale Brennpunkte zuständig.
Er engagiert sich — vielfach ehrenamtlich -für Süchtige, unter anderem ist er seit 1997 Mitglied im Beirat der Suchthilfe Hof Fleckenbühl

Nadine
23.08.2005, 13:56
Hallo Claus,

war schon lange nicht mehr hier auf dieser seite

ein toller eintrag. macht echt nachdenklich und liest sich wie von selbst. jedes wort spielgelt sich für mich in meinem eigenen gedankengängen.

zum thema urteilen in beziehung auf vertrauen z.b. der angehörigen, gibt es eine alte geschichte, ich setzte sie unten an:
liebe grüsse nadine



Urteilen

Urteilen zeugt von einem erstarrten Bewusstseinszustand. Und der Kopf möchte immer gern urteilen, denn es ist immer riskant und unbequem, in Bewegung zu bleiben. Sei sehr, sehr mutig, höre nicht auf zu wachsen, lebe im Augenblick, bleibe einfach im Fluss, des Lebens.

Die folgende Geschichte trug sich zur Zeit Laotse´s in China zu und Laotse liebte sie sehr.

Ein alter Mann lebte in einem Dorf, sehr arm, aber selbst Könige waren neidisch auf ihn, denn er besaß ein wunderschönes weißes Pferd... Könige boten phantastische Summen für das Pferd, aber der Mann sagte dann: "Dieses Pferd ist für mich kein Pferd , sonder ein Mensch. Und wie könnte man einen Menschen, einen Freund verkaufen?" Der Mann war arm, aber sein Pferd verkaufte er nie.

Eines Morgens fand er sein Pferd nicht im Stall. Das ganze Dorf versammelte sich und die Leute sagten: " Du dummer alter Mann. Wir haben immer gewusst, dass das Pferd eines Tages gestohlen würde. Es wäre besser gewesen, es zu verkaufen. Weich ein Unglück!"

Der alte Mann sagte: "Geht nicht so weit das zu sagen. Sagt einfach das Pferd ist nicht im Stall. Soviel ist Tatsache. Alles andere ist Urteil. Ob es Ein Unglück ist, oder ein Segen, weiß ich nicht, weil dies ja nur ein Bruchstück ist. Wer weiß, was darauf folgen wird?"

Die Leute lachten den Alten aus. Sie hatten schon immer gewusst, dass er ein bisschen verrückt war. Aber nach fünfzehn Jahren kehrte eines Abends das Pferd plötzlich zurück. Es war nicht gestohlen worden, sondern in die Wildnis ausgebrochen. Und nicht nur das, es brachte noch ein Dutzend wilder Pferde mit.

Wieder versammelten sich die Leute und sie sagten: "Alter Mann, du hattest Recht. Es war kein Unglück, es hat sich tatsächlich als ein Segen erwiesen."

Der Alte entgegnete: "Wieder geht ihr zu weit. Sagt einfach: Das Pferd ist zurück... wer weiß, wer weiß, ob das ein Segen ist oder nicht? Es ist nur ein Bruchstück. Ihr lest nur ein einziges Wort in einem Satz wie könnt ihr das ganze Buch beurteilen?"

Dieses Mal wussten die Leute nicht viel einzuwenden, aber innerlich wussten sie, daß der Alte unrecht hatte. Zwoelf herrliche Pferde waren gekommen...

Der Alte Mann hatte einen einzigen Sohn, der begann die Wildpferde zu trainieren. Schon eine Woche später fiel er vom Pferd und brach sich die Beine.

Wieder versammelten sich die Leute, und wieder urteilten sie. Sie sagten: "Wieder hattest du recht! Es war ein Unglück. Dein einziger Sohn kann nun seine Beine nicht mehr gebrauchen, und er war die einzige Stütze deines Alters. Jetzt bist du ärmer als je zuvor."

Der Alte antwortete: Ihr seid besessen vom Urteilen. Geht nicht so weit. Sagt nur, dass sich mein Sohn die Beine gebrochen hat. Niemand weiss, ob dies ein Unglück oder ein Segen ist. Das Leben kommt in Fragmenten und mehr bekommt ihr nie zu sehen."

Es begab sich, dass das Land nach ein paar Wochen einen Krieg begann. Alle jungen Männer des Ortes wurden zwangsweise zum Militär eingezogen. Nur der Sohn des alten Mannes blieb zurück, weil er verkrüppelt war. Der ganze Ort war von Klagen und Wehgeschrei erfüllt, weil dieser Krieg nicht zu gewinnen war und man wusste, dass die meisten der jungen Männer nicht nach Hause zurückkehren würden.

Sie kamen zu dem alten Mann und sagten: '*Du hattest recht, alter Mann es hat sich als Segen erwiesen. Dein Sohn ist zwar verkrüppelt, aber immerhin ist er noch bei dir. Unsere Söhne sind für immer fort."

Der alte Mann antwortete wieder: Ihr hört nicht auf zu urteilen. Niemand weiß! Sagt nur dies: dass man eure Söhne in die Armee eingezogen hat, und dass mein Sohn nicht eingezogen wurde. Doch nur Gott, nur das Ganze weiß, ob dies ein Segen oder ein Unglück ist."

Urteile nicht, sonst wirst du nie eins werden mit dem Ganzen. Du wirst von Bruchstücken besessen sein, aus kleinen Dingen wirst du voreilige Schlüsse ziehen. Wenn du einmal zu urteilen anfängst, hast du zu wachsen aufgehört. Urteilen zeugt von einem erstarrten Bewusstseinszustand und der Kopf möchte immer gern urteilen, denn es ist immer riskant und unbequem, in Bewegung zu bleiben. Tatsächlich ist die Reise nie zu Ende. Der Pfad endet ein anderer beginnt, die eine Tür schließt sich eine andere öffnet sich. Du erklimmst einen Gipfel es gibt immer einen höheren Gipfel. Gott ist eine endlose Reise. Nur Menschen, die mutig genug sind, sich über das Ziel keine Sorgen zu machen, die mit dem Reisen zufrieden sind, die zufrieden sind, einfach nur im Augenblick zu leben und in ihn hineinzuwachsen, nur solche Menschen sind fähig, mit dem Ganzen zu gehen