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Thema: Seit einer Woche abstinent

  1. #1
    C. Gast

    Standard

    Es ist schon erstaunlich, wie man sich selbst über zwei Jahrzehnte betrügen kann - wider besseres Wissen.

    Mit 15 die erste Mark in den Spielautomaten geworfen. Das war während der Schulpause in der Kneipe gegenüber. Mann, war das spannend! Hin und wieder Geld gewonnen. Schnelles Geld. Angefixt und nicht mehr los gekommen.

    22 Jahre Stammgast in der Spielhalle. Besser: In allen Spielhallen, die irgendwie auf dem Weg lagen. Lachende Sonnen und funkelnde Kronen. Die rote 7. Melodien für die 100er. Melodien für Millionen - Millionen der Automatenaufsteller und Spielhallenbetreiber. Melodien, die mir nächtelang nicht aus dem Kopf gingen. Ich muss nur richtig drücken, dann klingelt es im Automaten - und im Portemonnaie. In meinem.

    Es klingelte fast nie. Ich habe alles falsch gemacht. Aber was? Falsch gedrückt. Wieder versucht. Falsch gedrückt. Nochmal ran. Zwei Mal unten, ein Mal oben, nächstes Mal umgekehrt, drei Mal kurz, dann lang durch. Das Ding muss doch zu knacken sein. Nein. Null. Null auf dem Spielezähler, Null auf dem Guthabenzähler, Null auf dem Konto. Null Verstand. Besser: null verstehen.

    Ich bin ein Versager. Schaffe es nicht, das Risiko zu drücken. Ich mache es falsch. Mein Nachbar kann es, ich nicht. Ich bin ein Versager. Bevor ich einschlafe, höre ich die Melodien für Millionen.

    Als ich aufwache, habe ich Angst. Ich bin 22 Jahre jung und habe zwei Monate zwischen Abi und Zivildienst malocht. Als das Geld auf dem Konto ist, setze ich es sinnvoll ein. Die lachende Sonne. Diesmal immer kurz gedrückt. Oder lang. Oder im Wechsel. Falsch gemacht. Versagt. Zwei Monate Arbeit, drei Tage Spiel. Null.

    Üben! Üben! Üben!

    Üben bis zum Kollaps. Schlafstörungen, Angstzustände, Panikattacken. Null auf dem Konto. Aber was ist schon Geld. Ich verliere den Verstand. Zehn Jahre lang. Pause am Automaten - wohl dosiert. Prioritäten setzen, arbeiten, das Leben genießen. Und in Schüben das verspielen, was sich angesammelt hat. Wohl dosiert.

    Mit 27 eine neue Freundin kennen gelernt. Angst überwunden. Freundin wird zur Partnerin, Partnerin wird zur Liebe, Liebe wird Familie. Familie ist fast fünf Monate alt. Das schönste Geschenk des Himmels. Alter jetzt 37. Und unschuldige 5 Monate. Und der Rückfall aus dem wohl dosierten Spielalltag in eine regelrechte Spielorgie.

    Statt 30 oder 40 Cent und 1,20 oder 2,40 Euro nun Kürbisse, Erdbeeren und anderes leckeres Obst. Sterne und Glocken. Lachende Sonnen. Einfach, fünffach, zehnfach, 20-fach. Magisch blau. Besoffen vor Spielglück. Völlig neue Perspektiven. Üben! Null. Verkatert und schwindelig vor Enttäuschung.

    Versagt. Wobei? Beim Drücken? Oben oder unten? Wenn es zuckt Absturz? Und warum Absturz, wenn es nicht zuckt?

    500 Euro hinten, Krise. Akku vom Mobiltelefon leer. Anruf von der Liebe. Alles OK - dann bricht das Gespräch ab. Ich könnte das Spiel beenden, aber kann es nicht. Fünf Stunden lang faules Obst, Sterne, Glocken, Sonnen. Der Höhepunkt einer zweimonatigen Spielorgie. Mit schlechtem Gewissen nach Hause, Geständnis, Besserungsgelöbnis. Aussprache, Tränen, Vertrauensschwüre.

    Ich finde dieses Forum, lese viele Beiträge. Bin nicht ganz alleine - aber doch auf mich allein gestellt. Habe gute Hoffnung und gehe deshalb am nächsten Tag zum Obst. Einfach, fünffach, zehnfach 20-fach. Der Jackpot - und ich drücke wieder falsch.

    Falsch! Ich weiß bereits, dass das, was ich tue falsch ist. Nicht das, was ich tue, während ich das Falsche tue. Klar: Spielen ist falsch, nicht mein Drücken. Es kostet weitere zehn Tage und eine Menge Geld, bis die Einsicht Wirkung zeigt.

    Nie wieder Heimlichkeiten. Nie wieder Lügen. Nie wieder Ausreden. Nie wieder lachende Sonnen und funkelnde Kronen.

    Ich bin seit einer Woche abstinent. Und habe selten so klar gesehen: Ich spiele seit über 20 Jahren, und neben einem großen Haufen Geld habe ich eine Menge Selbstbewusstsein verspielt, habe Lebensqualität verspielt, habe mich mitunter an den Rand des Wahnsinns gespielt.

    Bevor dies wieder passieren kann, habe ich jetzt die Notbremse gezogen. Ich werde nicht mehr spielen. Ich werde ein guter Vater sein und ich werde meine Beziehung nicht aufs Spiel setzen. Ich will nicht mehr lügen. Nicht mir gegenüber und vor allem nicht meiner Liebe gegenüber.

    C.

    PS: Ich höre die Melodien für Millionen noch immer. Im Auto, im Bett, am Arbeitsplatz. Ich versuche sie zu vergessen. Erstaunlicherwiese höre ich Melodien, die ich seit 15 Jahren nicht gehört habe. Vielleicht ist das ein guter Weg zurück, der zu einem neuen Anfang führt. Ich werde nicht mehr spielen.

  2. #2
    Der Merowinger Gast

    Standard

    Hallo C.,

    herzlich Willkommen hier im Forum, und Glückwünsche zur ersten Woche Deines neuen Lebens! Das wichtigste um Erfolg bei der Bekämpfung Deiner Sucht zu haben, scheint vorhanden zu sein bei Dir-der absolute Wille! Nur der unbändige Wille zählt!

    Auch bei mir hat es 12 Jahre gedauert bis ich diesen Willen entwickeln konnte. 12 Jahre in denen ich annähernd meine komplette Existenz verspielt habe-65.000 € Schulden und eine tausend mal enttäuschte Liebe. Meldodien, Risikoleitern, Jackpots und Ausspielungen bestimmten 12 Jahre meines Lebens. Unzählige Versuche meine Sucht in den Griff zu bekommen scheiterten kläglich. Es wurde danach soger noch schlimmer, als wenn ich etwas aufzuholen hätte. Grob überschlagen habe ich in dieser Zeit 150.000 € in Spielautomaten versenkt-150.000 €!!!

    Doch dann machte es sprichwörtlich "klick!" Ich widmete von einem auf dem anderen Tag über Wochen fast meine ganze Zeit damit wie ich diese Scheiße in den Griff bekommen kann, und fand dieses Forum. Es hat mir unendlich geholfen! Endlich sich mal mit Leuten austauschen, die verstehen worüber man redet, die wissen wie hart es ist sauber zu werden. Hier im Forum treiben zwar zur Zeit ein paar Spinner ihr Unwesen, aber auch das wird vorbei gehen-einfach ignorieren! Darüber hinaus noch Selbsthilfegruppe. Auch da nur nette Leute, die einem wirklich zuhören, einem keine Vorwürfe machen, aber auch schon mal die Meinung geigen, wenn es Not tut.

    Das möchte ich auch Dir wärmstens ans Herz legen. Suche Dir eine Selbsthilfegruppe und eine ambulante oder stationäre Therapie. Anlaufstellen hierfür sind die Caritas oder Dein Hausarzt. Ich denke, ich brauche Dir nicht zu erzählen, daß alle Versuche ohne Hilfe zum Scheitern verurteilt sind. Du wirst wohl auch schon etliche hinter Dir haben.

    Auf Deinem Weg ins neue, speilfreie Leben wünsche ich Dir alles, alles Gute. Bleib stark!

    Viele Grüße

    Der Merowinger

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